Große Ferien in Saskatchewan

Wir wollen es noch einmal versuchen. Die letzte Workaway-Erfahrung kann und will ich nicht so hinnehmen. Also noch eins. Wir sind auf dem Weg in Richtung Osten – doch jetzt, denn zwischenzeitlich sah es nicht mehr danach aus, als würden wir den Westen noch einmal verlassen. Außerdem wollte ich ja sowieso nach Hause fahren und naja und sowieso. Aber dann ist da ja noch der geplante Besuch von Joel Mitte September und wir wollen die Hoffnung einfach nicht aufgeben, dass die kanadischen Grenzen für europäische Touristen doch noch öffnen und wir uns endlich wiedersehen. 

Nachdem wir drei Wochen in den Rocky Mountains und den Nationalparks Banff und Jasper unterwegs waren, beschließen wir auf dem Weg Richtung Osten in Saskatchewan Halt zu machen. In der kleinen, an Alberta angrenzenden Provinz leben gerade einmal ein bisschen mehr als 1 Million Menschen. Der Großteil der Provinz ist flach und besteht aus unendlichen Weizenfeldern und Tundra. Die Landschaft, in der die kleine Farm von Jackie und ihrer Familie liegt, macht jedoch eine angenehme Ausnahme – denn hier oben im Norden Saskatchewans schmiegen sich an die Kornfelder weite Ausläufe des grünen Gürtels Kanadas, ein riesiges Waldgebiet, das sich über den gesamten Norden Nordamerikas zieht.

Wir nehmen Kurs auf die Farm und fahren ein auf ein Grundstück mit gelben Haus und blauen Hühnerstall. Mit Jackie zusammen wohnen ihr Bald-und-immer-noch-nicht-Ehemann John sowie ihre Kinder, der 13-jährige Jimmy und die 18-jährige Morgan. An Tieren gibt es fünf Hunde, fünf Katzen, acht Pferde und zwei Esel sowie eine nicht zu zählende Masse an Geflügeltieren – normale und seltsame Enten, Hühner, Pfauen, Ginnies (keine Ahnung, wie die auf Deutsch heißen) und eine Schar sehr lauter Gänse. Ach und Schafe mit vier kleinen Lämmern und Kaninchen tummeln sich hier auch noch. 

Unsere Gastfamilie für knapp einen Monat: Jimmy, Jackie und John – Morgan war leider die meiste Zeit bei ihrem Dad.

Bevor wir aber alle Tiere zu Gesicht bekommen und eine Farmführung erhalten, gibt es erstmal eine ziemlich gelungene Überraschung: Mit denen Worten „hey Germans“ tauchen um die Küchenecke plötzlich Sandra und Andrej auf, die beiden Slowenen, mit denen ich mehrere Hundert Kilometer südwestlich die ziemlich unschöne Workaway-Erfahrung hatte. Das Gelächter ist groß, die beiden hatten nämlich extra ihr Auto versteckt, um uns zu überraschen – und das ist auf jeden Fall gelungen. Ich freue mich riesig die beiden wiederzusehen. Irgendwie hatte ich auch so ein Gefühl, als Jackie uns fragte, ob wir ein paar Tage eher kommen könnten – und ja, man sieht sich schließlich immer zweimal im Leben. 

Die nächsten Tage wird daher nicht gearbeitet, sondern Wiedersehen gefeiert. Außerdem ist es plötzlich richtig heiß und wir verbringen die Tage bei 30 Grad eisessend am Badeseestrand. Ich freue mich, endlich ist es Sommer! Noch vor 3 Wochen waren es in den Rockies eher umsommerliche 15 Grad. Den Locals scheint die Hitze aber eher etwas zuzusetzen, was aber auch kein Wunder ist: Bei maximal einer heißen Woche im Jahr sind Jackie & Familie das einfach nicht gewohnt. Im Winter ist es hier dafür saukalt: Bis zu -47 Grad kann die Temperatur fallen, mit Wind sind es sogar gefühlte -60 Grad. Als ich das höre, bekomme ich eine Gänsehaut trotz praller Sonne.

Meine liebsten Slowenen: Sandra und Andrej
Ich probiere mich zum ersten Mal auf dem SUP – sieht gar nicht so schlecht aus, oder?
Living the beach life to the fullest

Als sich Sandra und Andrej nach vier Tagen verabschieden und zu ihrem nächsten Workaway in Manitoba aufbrechen, wird es auch auf der Farm etwas ruhiger – naja, aber wirklich nur ein bisschen. Denn Jackie ist ein absolutes Energiebündel: Laut, fröhlich, immer zu Späßen auflegt. Wir verstehen uns super, auch wenn es/sie manchmal auch ein wenig anstrengend ist. Das wirklich Gute an Jackie aber ist: Sie mag keine harte Arbeit. Und weil sie selbst wegen Corona zu Hause ist (sie ist Schulbusfahrerin), haben wir jede Menge Zeit für die schönen Dinge: Wir fahren fast jeden Tag an den Strand, machen kleine Wanderungen durch sandige Wälder mit den Hunden, essen sehr viel Eis und Pommes und das Beste: Wir gehen Reiten. Endlich endlich, so lang hab ich mir das ja gewünscht. Und da es genug Pferde gibt, reite ich in den nächsten drei Wochen nicht nur fast jeden Tag, sondern auch insgesamt vier unterschiedliche Pferde: Trailrides, in der Arena, Englisch, Western, mit Sattel, ohne Sattel. Ja, da kommt mein kleines Pferdemädchenherz tüchtig auf seine Kosten. Sogar Chrissi traut sich aufs Pferd und stellt sich so gut dabei an, dass er am Ende unseres Farmstays mit auf einen Trailride darf – und ich glaube, das hat ihm auch ganz gut gefallen.

Frigg ist die wohl gemütlichste Stute auf der Farm und reiten auf dem Platz (aka human shit) mag sie nicht so wirklich.
Unser Host Jackie auf Frigg und ich auf der kleinen Minor, bevor wir zu einem 19 km Ritt aufgebrochen sind.

Da Jackie nicht so auf harte Arbeit steht, machen wir nur ab und an ein bisschen Farmarbeit: Mal Heuballen auf dem Feld einer Freundin einsammeln, die Gehege der Vögel säubern, die Reitkammer aufräumen, eine große Ausmistaktion bei den Schafen, ein neues großes Gehege für die Pfauen bauen und halt im Haushalt ein bisschen anpacken. Letzteres gestaltet sich aber etwas schwierig, den kaum hat man gewischt und aufgeräumt, sieht es wieder aus wie vorher – und das ist nicht unbedingt der Burner, denn bei Jackies Familie sieht es gerne mal aus wie Sau. Aber naja, für vier Wochen spielt das irgendwie auch nur eine untergeordnete Rolle.

Chrissi am Ausmisten der Ginnies (wir wissen nicht wirklich, was das für eine Sorte Vogel ist – vielleicht weiß jemand mehr?
Fuck, Heuballen sind echt schwerer als sie aussehen!

Die ganze freie Zeit, die wir haben (wir arbeiten eigentlich nur so 2 Stunden am Tag) verbringen wir – nein, nicht chillend oder ein Buch lesend, sondern schön am Van arbeitend. Chrissi hat sich nämlich in den Kopf gesetzt, Elliott von allem Rost zu befreien. Und davon hat der Bus ganz schön viel. Keiner von uns beiden hat am Anfang eine Vorstellung, was für Arbeit da wirklich auf uns zukommt: Und so sitzen wir mit Flex, Drahtbürste und Schleifmaschine in der brütenden Hitze so gut wie es geht im Schatten und bearbeiten die verrostete Karosserie unserer 31-Jahre alten Weggefährtin. Da bleibt’s aber leider nicht bei ein bisschen Abschleifen und Neulackieren. Denn unter dem abgeplatzten Lack kommen durchgerostete Stellen zum Vorschein, die sich nach Bearbeitung mit der Flex als mehr als 20 Zentimeter große Löcher herausstellen. Na herrlich. Irgendwie gelingt es uns aber doch, die Löcher professionell (haha) mit einer Konstruktion aus Hühnerdraht und Spachtelmasse zu stopfen – das sollte der deutsche TÜV lieber nicht sehen. Nach 2 Wochen sind wir aber endlich so gut wie fertig und Elliott sieht wieder richtig schön aus. So muss sie das letzte Mal vielleicht vor 10 Jahren ausgeschaut haben, denn obwohl der Vorbesitzer Mechaniker war, hat er die Roststellen leider komplett vernachlässigt und sich so lange nicht darum gekümmert, bis manche Stellen an der Karosserie durchgerostet waren. Jetzt fehlt uns nur noch der passende Lack – und wir finden sogar die originale Farbe, die 1989 verwendet wurde. Leider verschätzen wir uns etwas und eine Farbdose reicht natürlich nicht aus. Also müssen wir warten, bis wir in der nächsten größeren Stadt vorbeikommen. 

Wenn wir nicht am Van arbeiten, nimmt uns Jackie zu allen möglichen Ausflügen und Attraktionen in ihrer Wahlheimat mit. Klar, leider fallen dank Corona alle Veranstaltungen und Feste aus. Aber stattdessen besuchen wir die Provincial Parks in der Umgebung, die sich wirklich sehen lassen können: So hat der Meadow Lake Provincial Park allein über 20 Seen, die eingebettet in herrlich grünen Mischwäldern liegen. Das ganze Gebiet und generell große Teile des nördlichen Sasketchewans gehört dabei den diversen Stämmen der First Nations. Bei einer unserer Wanderungen im Makwa Provincial Park mit vier Hunden sehen wir sogar einen Bären – der erste Schwarzbär überhaupt und auch das erste Mal, dass wir einen beim wandern sehen und nicht gut geschützt im Auto. Der Bär verzieht sich zwar schnell, aber trotzdem ist den meisten von uns (bis auf Chrissi natürlich) beim weiterwandern etwas mulmig zu Mute und so singen wir laute Bären-Verscheucher-Lieder. Aus Gründen, die entweder damit etwas zu tun haben, dass Chrissi Adleraugen hat oder aber auch nur eine sehr gute Vorstellungskraft, sieht er als einziger von uns drei Bären. Auf jeden Fall sind wir nach dieser Wanderung Profis im Erkennen von Bärenspuren: Nicht nur Tatzenabdrücke, sondern vor allem Kackhaufen mit vielen Kernen von Beeren, aufgewühlte Ameisenhaufen und umgedrehte Steine zeugen davon, dass man im Bear Country ist. Laufen die Ameisen dann auch noch aufgeregt durcheinander, sollte man wirklich achtsam sein und lieber mal ein Bären-Verscheucher-Lied zu viel und zu laut singen (denn nein, einem Bären möchte man nicht ohne Schutz begegnen). 

Schwimmender Schwarzbär
Der wunderschöne Makwa Lake Provincial Park ist nur 10 Minuten mit dem Auto entfernt – hier verbringen wir fast die ganze erste Woche nur am Strand.

Das für Chrissi vielleicht schönste Erlebnis des gesamten Farmstays ist für mich zu gleich eins, dass nicht stattfindet – denn ich verschlafe es. Eines Abends, als alle ums Feuer sitzen und Hot Dogs grillen, verabschiede ich mich eher und gehe ins Bett. Ich habe Kopfschmerzen und brauche eine Pause und ein bisschen Zeit für mich. Nachts werde ich plötzlich mit den Worten „Sophie, wach auf, die Nordlichter sind da!“ aufgeweckt – zumindest versucht es Chrissi. Denn jeder der mich kennt, weiß, dass es ein teilweise unmögliches Unterfangen ist, mich aufzuwecken, wenn ich erstmal geschlafen habe und dass der Versuch auch einiges an Mut erfordert, denn ich bin im Halbschlaf zumeist ziemlich grummelig und beschimpfe meine Mitmenschen auch gerne mal aufs Böseste, allen voran Chrissi (der mich zugebenen auch deutlich häufiger versucht, mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden aufzuwecken, um mir irgendwas zu zeigen). Auf jeden Fall gelingt es ihm auch dieses Mal nicht, ich scheine zwar kurz interessiert, winke dann aber ab: Nordlichter gibts morgen auch noch und ich will jetzt weiterschlafen. Dass das nicht so ist und Jackie das letzte Mal dieses Naturschauspiel vor 12 Monaten erlebt hat, weiß ich in dem Moment nicht – und wahrscheinlich wäre es mir trotzdem egal gewesen. So verpasse ich auf jeden Fall die Aurora borealis. Am nächsten Morgen, als mir Chrissi die Fotos zeigt und mir die Lichter ganz genau beschreibt, ärgere ich mich natürlich wie blöde – schließlich waren gerade die Nordlichter im März einer der Hauptgründe, weshalb wir in den Yukon fahren wollten. Aber auch wenn ich das ganze Spektakel verschlafen habe: Chrissi hatte ein einmaliges Erlebnis und wurde fürs Augen-offen-halten in dieser schlaflosen Nacht mit einer unvergesslichen Erinnerung belohnt.

Finally: Die Nordlichter

3 Antworten auf „Große Ferien in Saskatchewan“

  1. Hey ihr beiden!
    Schön, dass ihr diesmal mit euren Gastgebern mehr Glück hattet. Klingt traumhaft! Und wirklich sehr geile Bilder, die ihr in letzter Zeit gezeigt habt. Schähm dich, dass du sowas verpasst, Sofa! 😀
    Ich glaub eure Ginnies sind Perlhühner.
    Liebe Grüße aus Dresden

    1. Ach Johnny, was würden wir nur ohne dein ornithologisches Fachwissen tun! 😀 Danke für das Kompliment, Chrissis Fotoskills sind mittlerweile echt nicht mehr von schlechten Eltern. Und ja, bin bis heute sehr betrübt, weil es vielleicht wirklich die einzige Chance auf Nordlichter hier war. 🙁

  2. Hallo Ihr zwei, herzliche Grüße nach Kanada zu Euch!
    Sophie, vielen Dank für Deine ausführliche Schilderung, an der Du uns teilnehmen läßt. Nun habt Ihr es gut getroffen und könnt Euch glücklich schätzen, auf diese Familie getroffen zu sein. Den Spuren Christophers in den Rockys waren wir auch gefolgt, mit seinen eindrücklichen Fotos, wo auch unsere Wanderherzen höher schlagen …
    Dass Euch in der noch verbleibenden Zeit alles gut gelingen möge, wünschen Euch mit Grüßen aus dem sommerlichen lichtdurchfluteten Halle (Saale)
    Barbara und László

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