Wir drehen um. Der Yukon will keine Besucher, Grenzen schließen und im Bus ist es kalt. Der kleine Gasofen ist kaputt und auch im Van ist die Stimmung nicht gerade sonnig. Neben der Enttäuschung über die angebrochene Reise sind es vor allem die Sorgen um Freunde und Familie zu Hause. Die Nachricht von der an Corona gestorbenen Großmutter einer italienischen Reisenden bei unserem letzten Workaway verschlimmert die Ängste um die eigene Omi. Jeden Morgen öffne ich Facebook, Instagram, Spiegel Online, die Süddeutsche. Muss mir Grenzen bei meinem Handykonsum auferlegen, damit mich die Last der Sorgen angesichts der Nachrichten nicht erdrückt.
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Wir ziehen am Rande von Kelowna in ein airbnb. Im Gegensatz zum nördlichen British Columbia hält hier im Okanagan Valley der Frühling Einzug, an den Bäumen sind die ersten Knospen zu sehen und es tut gut, die zweistelligen Minusgrade zumindest gegen etwas Sonne einzutauschen.
Wir versuchen, nur alle paar Wochen einkaufen zu gehen und uns ansonsten von Menschen fernzuhalten. Unsere Hosts haben die Unterkunft zuvor gründlich desinfiziert und auch wir begegnen einander nur mit ausreichendem Sicherheitsabstand. Ich versuche viel zu arbeiten, um mich abzulenken, doch Corona bleibt das einzige Gesprächsthema.
Um der trüben Stimmung zu entgehen, erkunden wir die umliegenden Regional Parks. Die größeren Provincial Parks sind ebenso wie die Nationalparks für Besucher geschlossen. Zum Glück gibt es rund um Kelowna einen Haufen schöner Parks und Wälder, die noch geöffnet sind. Wir gehen viel spazieren, teilen unsere Gedanken, versuchen den anderen auf andere Gedanken zu bringen. Nicht immer klappt das. Wir skypen viel mit unseren Freunden und Freundinnen zu Hause und merken, dass wir in Kanada trotz Krise immer noch weitaus mehr Freiheiten haben als das gerade in Deutschland der Fall ist. Dennoch nimmt besonders bei mir das Heimweh immer stärker zu und droht, mich zu überwältigen. Und so treffe ich Anfang April eine Entscheidung: Ich buche mir einen Flug zurück nach Deutschland. Reisen ist nicht mehr möglich, hunderte Work&Traveller sind trotz work permit heimgekehrt, da auch die Joblage äußerst dürftig ist.
Die nächsten Wochen sind seltsam. Wir beide wissen nun, dass ich Anfang Mai in einen Flieger der Lufthansa nach München steigen werde. Wir sind traurig, und doch bin ich auch froh, endlich eine Entscheidung getroffen zu haben, auch wenn die Christopher nicht mit einschließt – denn er bleibt hier, in der Hoffnung, dass sich die Lage doch noch ändert. Ich fange an, nach Wohnungen zu suchen, schreibe Bewerbungen für Jobs. Treffe Entscheidungen nicht als Partnerin in einer Beziehung, sondern ausschließlich für mich. Komme mehr als einmal an meine eigenen Grenzen.
Bevor mein Flug ab Kelowna über Vancouver nach Deutschland geht, besuchen wir noch einmal Ilona und die Farm, auf der wir im Winter einige Wochen verbracht haben. Es ist schön, sie und die Tiere noch einmal wiederzusehen – und gleichzeitig so seltsam, dass wir uns nicht umarmen können. Als unser zweites airbnb für die Nächte vor meinem Flug gecancelt wird, bleiben wir spontan noch ein paar Tage länger bei Ilona, auch wenn sie selbst nicht da ist. Dafür verbringen wir viel Zeit mit den „aktuellen“ Workawayern aus Irland, Stef und Aaron, trinken viele Biere, fahren Kanu und machen eine verbotene Wanderung auf die eigentlich für Besucher geschlossenen Enderby Cliffs.
Drei Tage vor meinem Abflug wird mir dann etwas mulmig: Ich kann den Flug nicht mehr im Buchungssystem finden und auf Facebook fragt mich eine andere Reisende verwundert, mit welchem Flieger ich denn ab Vancouver nach Deutschland fliegen will. Ich rufe bei Lufthansa an – und erfahre, dass der Flug gestrichen wurde. Und zwar bereits schon bereits vor drei Wochen. Eine Mail darüber? Habe man vergessen. Man könne mir aber einen Alternativflug zur selben Abflugzeit anbieten: Andere Airline, 38 statt 15 Stunden Flugzeit und dann auch nur bis nach Frankfurt. Von da müsse ich dann selbst sehen, wie ich weiterkomme. Hieße konkret: Noch einmal quer mit dem Zug durch die halbe Republik nach Dresden. Ein anderer Tag? Unwahrscheinlich, alle Flüge für Mai und Juni sind gecancelt. Ich schnaufe, erbitte mir Bedenkzeit und lege auf. Ich hab damit gerechnet, dass das passieren kann – denn die Nachrichten über die wirtschaftliche Schieflage von Lufthansa sind auch an mir nicht vorbeigegangen. Geglaubt habe ich daran aber, drei Tage vor meinem Abflug, nicht mehr. Die Iren sehen es als ein Zeichen: Ich solle bleiben, die Provinz Alberta beginne, nach und nach alles langsam wieder zu eröffnen und überhaupt sei der kanadische Sommer doch eh das schönste. Ich bin hin und hergerissen, denn die Gründe, weshalb ich nach Hause wollte, erledigen sich nicht von selbst. Rede mit meinen Freundinnen, verschiebe die Entscheidung auf den nächsten Tag. Am nächsten auf den übernächsten.
Montagmorgen. Mein Flieger ab Kelowna wird um 15 Uhr abheben. Ohne mich. Denn ein 38 Stunden Flug kam dann doch irgendwie nicht in Frage. Also bleibe ich. Und vielleicht soll das genau so sein.
Eine Antwort auf „Corona-Isohaft in Kelowna & eine Entscheidung“