Mit dem Kanu durch den Algonquin Park

Von Manitoulin gehts im Oktober weiter auf dem Trans-Canada-Highway durch Ontario. Die Herbstfarben leuchten, der Indian Summer ist im vollen Gange. Besonders die Blätter der kanadischen Ahornbäume haben es uns angetan: Sie strahlen in einem fast unwirklichen Purpur. Unser nächster Stopp wurde lang herbei gefiebert: Der Algonquin Provincial Park. Der Park ist der älteste Naturpark in ganz Ontario und liegt nördlich des Lake Ontarios in einem Dreieck zwischen den Städten Sudbury im Westen, Toronto im Süden und Ottawa im Osten. Er ist mit 7725 km² Fläche riesig – doch nur etwa 10 % des Parks sind so ausgebaut, dass man sie mit dem Auto erkunden kann. Die restlichen 90 % können nur erwandert oder per Kanu entdeckt werden. 

Der Algonquin Park ist ein ziemliches beliebtes Erholungsgebiet für die Einwohner Ontarios. In Jahren ohne Pandemie bevölkern ihn Heerscharen an Touristen. Ob das 2020 wirklich so anders wissen wir nicht, denn der internationale Tourismus fällt zwar aus – doch das trifft natürlich auch die Kanadier. Und statt dem Europatrip erkunden die daher 2020 auch lieber ihr eigenes Land. Verstehen kann man sie, der Park ist nicht nur aufgrund seiner Größe und Wildheit so beeindruckend, er ist auch wirklich wunderschön. Neben herrlich bunten Laubwäldern und Nadelwäldern finden sich Sümpfe, hochragende Felswände und über 2400 Seen. Im Park leben etwa 3000 Elche, 2000 Schwarzbären, Wölfe und Biber. 

Wie in allen Naturparks in Kanada darf man auch im Algonquin Park nicht wildcampen, weshalb es für uns nach langer Zeit mal wieder auf einen Campingplatz geht. Die haben es größen- wie auch preismäßig echt in sich. 42 Dollar kostet eine Nacht + 7,50 Dollar für Feuerholz. Weil gefühlt jeder Kanadier nochmal die letzten leuchtenden Herbsttage ausnutzen möchte, ist es auf den Zeltplätzen und generell im „ausgebauten“ Teil des Parks ziemlich voll. Daher entschließen wir uns, tiefer in den Park vorzudringen und erkunden in den nächsten Tagen das Hinterland. Wir düdeln mit Elliott über Schotterstraßen, stoppen hier und da an moosigen Felsen, trüben Seen und beobachten die Vogelwelt. Andere Tiere bekommen wir leider nicht zu Gesicht, was wohl auch an den zunehmenden Besucherströmen übers Wochenende liegt. Am Samstag ist das Besucheraufkommen im ausgebauten Teil des Parks so stark, dass die Polizei die Parkplätze entlang des Highway 60 sperren muss. Das ist uns etwas zu viel, weshalb wir uns entschließen, lieber auf dem Campingplatz zu chillen (der aber auch voll ist).

Aber eigentlich sind wir ja auch für was anderes hergekommen. Solange liegt mir Chrissi bereits in den Ohren, dass er unbedingt eine backcountry Kanutour machen möchte. Also Kanu leihen, Campingausrüstung reinschmeißen und dann irgendwohin paddeln, Lager aufschlagen und mitten in der Wildnis campen. Jetzt sind wir zwar endlich am Ort seiner Kanuträume – doch jetzt will das Wetter will nicht so richtig mitspielen und auch die Nächte werden immer kälter. Aber was soll’s – wir machen’s trotzdem und leihen uns bei einem Outfitter im Park ein Kanu. Erfahrung? Ich hab keinen Dunst, was ich da tue. Daher versuche ich auch den Typen vom Kanuverleih erst einmal zu überzeugen, uns ein Kajak auszuleihen (denn das kann ich wenigstens). Aber wer etwas mehr als einen Tagesrucksack an Gepäck benötigt, sollte auf das Fortbewegungsmittel der Natives und der ersten Siedler zurückgreifen. Ich gebe mich also geschlagen. Und schließlich wurde Kanada ja auch per Kanu „entdeckt“. Also packen wir unser ganzes Zeug in Chrissis Wanderrucksack, kaufen nochmal Feuerholz und eine Kanukarte und planen eine Tour von etwa 16 Kilometern – 8 Kilometer hin und 8 bis zum nächsten Mittag wieder zurück. Als wir alles im Kanu verstaut haben, habe ich das ungute Gefühl, dass das Ding bereits ziemlich überladen ist – ohne, dass wir da überhaupt drin sitzen. Aber Chrissi winkt ab, und so quetsche ich mich auf meinen Platz neben Zelt, Isomatte, bis zum Bersten gefüllten Rucksack, Feuerholz und Notfallkit. Na hoffen wir mal, dass wir das nicht brauchen. 

Wir starten vom Rocklake Campground und wollen vom gleichnamigen See zu einem anderen See rüberpaddeln. Als Provincial Park ist das Gebiet natürlich in seinem ursprünglichen Zustand, was bedeutet, dass man sein Kanu umtragen muss, falls Dämme oder Wasserfälle den Weg versperren. Unsere Karte zeigt uns zwar ein Haufen schöner potenzieller Touren – doch bei den meisten muss man das Kanu mehrere Kilometer weit schleppen. Darauf haben wir definitiv keine Lust (und es wäre mit dem ganzen Scheiß, den wir mitschleppen, am Ende auch gar nicht möglich gewesen). So paddeln wir also über den Rocklake bis zum ersten Damm, an dem wir das Kanu aber nur ungefähr 300 m tragen müssen. Die Fahrt ist wunderbar, schnell sind wir allein und alle menschlichen Hintergrundgeräusche verstummen. Es ist wunderbar friedlich und bis auf ein Pärchen und einen kleinen Jungen, der mit seinem Vater auf Angeltour unterwegs ist, treffen wir keine Menschenseele. Wir haben uns auf der Karte bereits eine kleine Insel ausgesucht, auf der wir gerne zelten würden. Es gibt haufenweise Stellen, auf denen das backcountry zelten erlaubt ist. Man kann eigentlich überall sein Lager aufschlagen, wo ein oranges Schild einen Platz verkündet. 

Nach mehreren Stunden paddeln ist die Insel jedoch immer noch ziemlich weit weg. Und jetzt frischt auch der Wind auf, während wir geradewegs den kürzesten Weg direkt quer über den See nehmen. Na herrlich. Nach ein paar Minuten Gegenwind kann ich bereits nicht mehr. Meine Arme fühlen sich an wie Blei. Und die verdammte Insel ist immer noch so weit weg. Wir beratschlagen und entschließen uns dann, umzudrehen. Wir hatten auf dem Hinweg schon eine andere kleine Insel entdeckt, die ebenfalls ziemlich nett aussieht, um dort zu übernachten. Als wir das Kanu wenden, dreht auch der Wind und weht uns erneut direkt ins Gesicht. Er peitscht die Wellen hoch und das überladene Kanu schwankt gefährlich. Ich hab das Gefühl, dass wir nicht nur überhaupt nicht mehr vorwärts kommen, sondern uns stattdessen eher rückwärts bewegen. Ich hab keine Lust mehr. Meine anfängliche Begeisterung ist mit zunehmender sportlicher Anstrengung bereits vor einiger Zeit verflogen. Da ich aber die Ruderin bin, kann ich nicht einfach aufhören zu paddeln, denn dann bewegen wir uns so gut wie gar nicht mehr. 

Endlich kommt am Ufer ein kleines orangenes Schild in Sicht. Wir beschließen anzulanden, um uns kurz auszuruhen, denn noch sind wir nicht an unserer kleinen Insel angekommen. Nach einer kurzen Erkundungstour und 5 Minuten Ausruhen, gehts wieder rein ins Kanu. Und zum Glück schaffen wir es in der nächsten Stunde vor Einbruch der Dämmerung auf die kleine Insel. Erstmal ein Feuer machen, denn es wird kalt. Und da wir keine wirkliche Ausrüstung haben, müssen wir jetzt erstmal improvisieren – aber darin sind wir mittlerweile Profis. Statt einer zweiten Isomatte kehren wir Kiefernnadeln am Boden zusammen und machen daraus eine weiche Unterlage. Weil unsere Drybag verschwunden ist, hängen wir unser Essen als Schutz vor wilden Tieren in einer Plastiktüte in einen der Bäume. Weil wir nur einen Schlafsack haben, haben wir alle Decken aus Elliott mitgenommen. Und weil kein Gas mehr im Kocher ist, kochen wir einfach überm offenen Feuer (dauert auch nur geschlagene anderthalb Stunden, bis die Nudeln durch sind).

In der Nacht sitzen wir am Feuer, es ist still, vom gegenüberlegenden Wald hören wir ab und an die Geräusche nachtaktiver Tiere. Es ist so friedlich, kein einziges menschliches Geräusch ist zu hören, wenn wir still sind. Die Nacht legt sich wie eine schwere Bettdecke über die Natur. Als die letzte Glut verglimmt, huschen wir ins Zelt und vergraben uns in unserer Bettenburg. Über uns spannt sich das Himmelszelt und in der Ferne heult ein Wolf unter dem weißen Vollmond. Ach Kanada.

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