In den vergangenen zwei Monaten drehte sich alles um diese wunderbaren immergrünen Nadelbäume. Da wir während der Zeit des Corona-Lockdowns nicht wie gewohnt reisen können, uns aber auch nicht langweilen wollen, beschließen wir Anfang Mai uns einen Job zu suchen. Uns schwebt ein Farming-Job vor, bei dem wir zum einen immer draußen an der frischen Luft und der Sonne sind sowie zum anderen nicht zu viel unter Leuten sein müssen, da wir das Virus wirklich ungern verbreiten wollen. Also gesagt getan. Sophie hat eine ganze Menge Angebote im Netz rausgesucht – alle in der Nähe des Okanagan Valley, wo wir ja bereits schon unsere Quarantäne-Zeit verbracht hatten und wo gefühlt immer die Sonne scheint. Üblicherweise erledigen solche Jobs hier Saisonarbeiter aus Mexiko, welche jedoch wegen des weltweiten Lockdowns nicht einreisen dürfen. Quasi wie in Deutschland mit den polnischen Arbeitern und der Spargelernte.
Ehrgeizig wie wir nun mal sind, bewerben wir uns auf die besten Jobs – online oder per E-Mail. Irgendwie hatte ich aber mal gehört, dass es in Kanada einfacher wäre einen Job zu finden, wenn man einfach mal vor Ort anruft, um sich vorzustellen. Also beschließe ich für ein vielversprechendes Angebot in Alberta mal den Hörer in die Hand zu nehmen. Wir vereinbaren ein gemeinsames Skype-Gespräch. Nach einem netten Gespräch zu dritt vor den Bildschirmen ist klar – wir kriegen den Job. Doch sollen wir ihn auch wirklich annehmen?
Ich habe ein mulmiges Gefühl. Noch wenige Tage zuvor hatte Sophie beschlossen nach Hause zu fliegen. Nur weil ihr Flieger gecancelt wurde und die Alternative ein 36 h Flug mit mehreren langen Aufenthalten auf diversen Flughäfen gewesen wäre, ist sie nun doch bereit länger zu bleiben. Und unsere künftige Arbeit soll darin bestehen junge Fichten von vier bis fünf Jahren im Wald zu suchen, diese auszugraben, einzutüten und auf einen Hänger zu laden. Insgesamt würden wir in diesen zwei Monaten fünf- bis sechstausend Bäume ausgraben und für jeden Baum würden wir 3 Dollar bekommen, zudem würde vor Ort eine Unterkunft für uns bezahlt, heißt es vom anderen Ende der Leitung. Sophie freut sich darauf mal ordentlich Kohle in Kanada zu verdienen. Zusammen 18.000 Dollar in zwei Monaten – so viel Geld hatte sie in Deutschland noch nie verdient und sie will den Job unbedingt. Doch hat sie schon jemals im Leben einen Baum ausgegraben? Hat sie eine Ahnung wie anstrengend der Job sein würde? Würden wir wirklich so viel verdienen oder will er uns mit der Aussage nur locken? Mit diesen Gedanken im Hinterkopf fahre ich uns drei nach Alberta, denn ja – auch ich will den Job.
Angekommen in Alberta erschrecken wir doch sehr wie anders das Klima hier noch ist, denn in unseren ersten Arbeitstagen werden wir mit einem Wechsel zwischen tosendem Wind und eisigem Schneehagel begrüßt. Gefühlt sind wir nicht 400 km in den Nordosten gereist, sondern 6 Wochen in die Vergangenheit. So haben wir uns die Arbeit im freien wahrlich nicht vorgestellt! Zudem gibt es eine wesentliche Änderung zu der Absprache am Telefon, denn außer uns wurde noch eine dritte Person eingestellt, die fleißig Bäume ernten soll. Deshalb werden wir wohl nicht ganz so viel verdienen können, wie ursprünglich gehofft, aber in diesen schweren Zeiten, in denen Tausende von Menschen ihre Jobs verlieren, ist es durchaus verständlich, noch einen weiteren Arbeitsuchenden einzustellen. Eigentlich schön denken wir uns, so haben wir wenigstens noch etwas Gesellschaft und können weiter an unseren Englischkenntnissen feilen. Wir hatten ja anfangs keine Ahnung wie sich unser Verhältnis zu Maclean noch entwickeln würde.
Untergebracht sind wir in einem Motel in Sundre, in dessen Umgebung wir die Bäume ausgraben sollen. Das Motel ist allerdings bei weitem keine Luxusunterkunft. Ein großes Leuchtschild an der Straße bewirbt das Motel mit „COLOR TV“ und lässt damit bereits von weitem vermuten, wie lange der Schuppen schon nicht mehr modernisiert wurde. Im Kühlschrank finden wir noch einen alten Käse unseres Vorgängers – lecker und schön, dass sie den für uns drin gelassen haben. Der Teppichboden wird nicht gesaugt, sondern stattdessen gekehrt und das sieht man ihm auch an. Die Turbo-Herdplatten lassen den ganzen Raum herrlich nach Fritteuse riechen, sobald man sie benutzt und die fette Röhre mitten im Raum schalten wir so gut wie nie an, da im kanadischen Fernsehen ungefähr doppelt soviel Werbung läuft wie im deutschen.
Sophie ist so sauer über die Unterkunft, dass sie am liebsten gleich wieder in den Van ziehen will. Aber da gibt’s dann halt wieder keine Dusche, kein Klo und kein Internet. Also müssen wir uns damit abfinden und so schruppt Sophie in unserer ersten Nacht noch bis halb zwei die Bude und richtet sie liebevoll mit Utensilien aus dem Van ein, sodass wir uns etwas wohler fühlen können. Danke dafür liebste Sophie!
Die Orte an denen wir die Bäume suchen sollen, sind verschiedene private Grundstücke – alle sind dutzende Hektar groß und haben irgendwo einen schönen Zugang zum Fluss. Es sind teilweise wirklich beeindruckend schöne Orte mit bezaubernden Lichtungen, riesigen Bieberdämmen, dekadenten Campingplätzen und hier und da ist auch mal eine kleine Holzhütte im Wald oder direkt am Fluss zu finden. Während wir schweißgebadet unsere Mittagspause machen, träumen wir von einem kleinen Festival auf einem der Grundstücke mit all unseren Freunden und Musik bis weit nach dem Morgengrauen. Das Tanzen fehlt uns. Unsere Freunde auch.
Doch jetzt sind wir hier zusammen mit Maclean, graben Bäume aus und wie erwartet übersteigen die Anstrengungen Sophies kühnste Vorstellungen. Die Schmerzen im Rücken und in den Händen machen uns beide zwischenzeitlich echt fertig. Außerdem schaffen wir es kaum mehr für unsere deutschen Jobs weiter zu arbeiten, da wir jeden Tag so ausgelaugt sind, dass wir es gerade mal noch schaffen, Abendbrot zu bereiten und direkt danach in den Schlaf fallen. Haben wir mal einen Tag frei, schlafe ich bis Mittags und bleibe danach einfach im Bett liegen, weil mir alles so weh tut, dass ich mich nicht bewegen möchte. Sophie geht es besser, denn wir haben einen tollen Weg gefunden, wie wir diesen Job gut als Team bewältigen können. Ich grabe einfach alle Bäume aus und Sophie packt sie ein, lädt sie aufs Quad und düngt sie am Ende. Eigentlich ein guter Deal für mich, muss ich doch viel weniger machen. Doch bei den immer gleichen Bewegungen habe ich einen meiner Muskeln im Rücken so überstrapaziert, dass zwischenzeitlich gar nichts mehr geht. Der Schmerz strahlt bis in die Brust. Zum Glück bekommen wir ein paar Tage frei, sodass ich mich erholen kann.
Und wie ist nun die Beziehung zu unserem Kollegen Maclean? Am Anfang verstehen wir uns sehr gut, er ist immer sehr freundlich und wir quatschen regelmäßig über dies und das. Am ersten Tag laden wir ihn auf ein Bier ein und wir verbringen einen recht geselligen Abend. Später erfahren wir, dass er das Bier nur aus Höflichkeit angenommen hat und sein letztes schon mehrere Jahre zurückliegt. Die kleinen Freuden des Lebens scheint er auch sonst nicht besonders zu genießen, so mag er beispielsweise keinen Kaffee, keine Schokolade, keine Pizza, kein Cannabis und als wir ihn zu seinem Geburtstag mit einer Cookie-Dough-Eistorte der teuersten Art überraschen, schlägt er auch diese aus. Wir verspeisen die Torte später also alleine… Was ist passiert, dass er nicht einmal mehr höflich genug war, um ein Stück Eistorte zum Geburtstag anzunehmen? (Ich mein, wer mag schon kein Eis? Und wer mag keine Torten? Und wer zur Hölle mag die Mischung aus beiden nicht???) Ganz ehrlich – wir wissen es nicht genau. Die Chemie stimmt wohl einfach nicht. Manchmal macht er uns auch ein wenig Angst, beispielsweise als wir ihn wutentbrannt im Wald schreien und fluchen hören. Wir wundern uns worauf er so sauer ist – schließlich ist er ganz allein im Wald. Als ich ihn darauf anspreche, erklärt er mir, dass es ihn aufrege, dass die American Natives mehr Transparenz in der Außenpolitik Kanadas fordern. Was ein komischer Typ, dass er deshalb wütend durch den Wald schreit. Vielleicht ist er aber auch nur sauer, weil er wegen Corona seinen Job als Schwimmtrainer verloren hat und jetzt stattdessen scheiß Fichten im Wald ausgraben muss… Je länger wir dort arbeiten, desto mehr Abstand versuchen wir zu Maclean zu halten.
[vimeo 440481513 w=819 h=1024]Und stimmt die Kohle nun? Ich würde sagen am Ende ist der Deal nicht allzu schlecht. Zwischenzeitlich bekommt jeder von uns um die 1000 Dollar pro Woche und am Ende haben wir zusammen um die 3700 Bäume ausgegraben. Doch die Menge an Bäumen wird zum Ende der Saison immer weniger, sodass es sich irgendwie nicht mehr so richtig lohnt und Sophie beschließt zu kündigen, um sich auf ihr nächstes Workaway zu begeben. Ich bleibe noch da, kann aber wegen Schlechtwetter auch nur noch einen Tag länger Bäume pflücken. Den Rest der Zeit verbringe ich mehr oder weniger im 5-Sterne-Wohlfühlmotel und plane meinen nächsten Trip in die Berge. Ganz am Ende der Saison sind wir wohl alle drei glücklich, dass der Job vorbei ist und dass wir so etwas nie wieder im Leben machen müssen. Meine letzte Amtshandlung im Motel ist es – und das ist nämlich das einzig Gute an der Unterkunft – ein heißes Bad zu nehmen und nochmal so richtig zu entspannen, denn das wird mir wohl künftig schnell wieder fehlen.
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Eine Antwort auf „Wie wir mit Fichten unser Geld verdienten“