Nach der entbehrenden Zeit in Sundre war es für mich höchste Zeit mal wieder etwas Schönes zu machen und so hatte ich eine 5-tägige Wanderung durch die kanadischen Rocky Mountains im Nationalpark Banff geplant. Normalerweise muss man einen solchen Trip Monate im Voraus planen, da die Zeltplätze im Hinterland der Nationalparks sehr limitiert sind und die meisten schnell ausgebucht sind. Doch 2020 ist alles anders – die bestehenden Reservierungen wurden während des Lockdowns gecancelt und das Buchungssystem Angang Juni neu gestartet. Ich nutzte die Chance und suchte mir eine im Netz als einzigartig angepriesene Route aus. Lediglich zwei Tage nach dem Start des Reservierungssystems wollte ich mir dann die Campingplätze dann so buchen, dass ich nicht mehr als 15 km am Tag wandern müsste. Es sollte ja entspannt werden. Doch war ich wohl leider zwei Tage zu spät dran und so musste ich nehmen was übrig geblieben war. Dennoch freute ich mich, da ich für alle vier Nächte einen halbwegs passenden Campingplatz gefunden hatte und wohl auch nicht mehr als 20 km und ca. 1000 Höhenmeter an einem Tag wandern müsste. Daher war ich auch nicht allzu sehr gestresst, als wir am Morgen des ersten Tages noch mit Elliott im Schlammloch steckengeblieben sind und uns erstmal freischaufeln mussten. Die ganze Aktion hatte eine Weile gedauert, deshalb kamen wir später an als gedacht. Vom Startpunkt aus konnte man aber eine Gondel nehmen, die einem den Großteil des Anstieges abnahm. Am Parkplatz angekommen musste ich dann aber leider feststellen, dass die Gondel wegen eines gottverdammten Virus‘ geschlossen war und ich den Anstieg doch mit reiner Muskelkraft bewältigen musste. Ich verabschiedete mich von Sophie und lief los.
Unterwegs kam mir dann eine Gruppe von Wanderern entgegen, die sich köstlich darüber amüsierten, dass ich auf dem Weg zum Howard Douglas Lake Campground war, denn dies sei der wohl größte Umweg, den man machen könnte. Wir lachten alle herzlich darüber und als ich mich wieder auf die Socken machen wollte, bekam ich von einem älteren Mann der Gruppe noch den Hinweis, dass ich mein Bärenspray doch lieber an der Hüfte statt am Rucksack tragen sollte, denn der Bär würde im Falle des Falles wohl nicht darauf warten, bis ich den Rucksack abgesetzt hätte. Da ich ungern Bärenfutter werden wollte, nahm ich seinen Rat an, bevor ich schließlich weiter zog. Nur wenige Minuten nach dieser Begegnung fand ich ein paar übel riechende Haufen Bärenkot auf dem Wanderweg – aber vom Übeltäter war weit und breit nichts zu sehen. Als ich dann jedoch noch ein paar Minuten später meine Mittagspause machte, war mir schon etwas mulmig – ich hätte ungern all mein Essen schon am ersten Tage an einen Bären abtreten wollen.
Da ich schon viel zu spät gestartet war und die Gondel nicht fuhr, kam ich natürlich auch erst sehr spät abends und total erschöpft am Campground an. Zum Glück empfingen mich drei gut gelaunte Ladies, mit denen ich noch bis zum Sonnenuntergang am Ufer des Sees saß. Wir ließen uns von der Sonne, die sich herrlich im Wasser des Sees spiegelte, wärmen und quatschen über Gott und die Welt. Das Schöne an solchen Wanderungen sind eben nicht nur die Natur und die tollen Ausblicke, es sind oft auch die Begegnungen mit anderen Wanderern, die immer sehr ausgeglichen und zufrieden wirken. Der Alltagsstress kann einem hier oben eben sehr leicht abfallen. Kurz nachdem die Sonne dann hinterm Berg verschwunden war, kroch ich schließlich als erster völlig entkräftet in mein Zelt und muss innerhalb von Sekunden eingeschlafen sein. Am nächsten Morgen war ich dann auch der letzte, der den Campground wieder verließ – dafür jedoch frisch gebadet im eiskalten Gebirgsbach.
Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich solche Abenteuer immer nur sehr gut vorbereitet starte und so kam es, dass ich am zweiten Tag nicht genau wusste, wo eigentlich mein Campground angedacht war. Daher unterhielt ich mich mit anderen Wanderern darüber, welche Möglichkeiten ich hatte und war nicht besonders begeistert, als sich herausstellte, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: Der erste Campground wäre schon nach ca. 10 km erreicht und ich hätte meinen Tag sehr früh beenden müssen – der zweite war jedoch knapp 30 km entfernt, was mir wiederum angesichts der vielen Höhenmeter sehr viel vor kam. Ich wollte die Wanderung ja schließlich auch genießen. Letztendlich entschied ich mich für den weiter entfernteren Campground, wobei mir klar war, dass ich erst wieder sehr spät ankommen würde. Der Weg führte mich über eine wunderschöne von schneebedeckten Bergen umrahmte Hochebene mit tausenden blühenden Wildblumen, unterwegs sah ich allerlei kleine Nagetiere wie Bergmäuse, Streifenhörnchen, Murmeltiere und Eichhörnchen. Andere Wanderer begegneten mir dagegen nur sehr selten.
Ich lief am ersten Campground vorbei, als es ca. 1 Uhr gewesen sein muss. Ich erinnere mich, dass ich noch recht fit war und es mir leicht erschien, noch weitere 20 km zu laufen. Ich wusste jedoch nicht, dass es der heißeste Tag werden sollte und mir noch viele Höhenmeter bevorstanden. Nach der Hochebene gab es nämlich einen ziemlichen Anstieg zu überwinden. Hinter dem Hochpunkt änderte sich die Landschaft völlig von sanften blumenbedeckten Wiesen zu einer rauen Karstlandschaft mit den merkwürdigsten Felsformationen auf denen vereinzelte Fichten wuchsen. Da es an dem Tag so heiß war, ging mir auf halber Strecke zum nächsten See das Wasser aus. Ich war wieder total erschöpft und musste wegen der Hitze gefühlt alle zehn Minuten eine Pause machen. Als ich kurz vor dem See noch ein letztes Mal hielt, passierte mich ein Pärchen, mit denen ich im Laufe des Tages schon mal gequatscht hatte. Ich hoffte, sie könnten mir etwas Wasser geben, doch leider hatten auch die beiden keins mehr. Bis zum See waren es aber auch nur noch 20 Minuten. Dort angekommen füllte ich als erstes mein Wasser auf und unterhielt mich dann mit den dortigen Campern. Ich war so fertig, dass ich am liebsten auch dort mein Zelt aufgeschlagen hätte, aber leider brauchte man für diesen Campground eine Reservierung und in der rauen Karstlandschaft hätte ich keinen gescheiten Platz neben den extra dafür angelegten Plätzen gefunden. Einer der Camper meinte, ich solle einfach mein Zelt auf einem der Plätze aufschlagen. Da es schon so spät war und noch so viele Plätze frei waren, ging er davon aus, dass ohnehin nicht alle Plätze gefüllt werden. Aber was, wenn kurz nach Einbruch der Dunkelheit eine Gruppe von Wanderern mit Reservierung ankommt und ich für sie Platz machen müsste? Dann müsste ich den Weg bis zum nächsten Campground in der Dunkelheit laufen. Das war mir zu heiß und ich lief schließlich weiter zum nächsten Reiter-Gruppen-Campground, der vermutlich offiziell wegen Corona geschlossen war, denn außer mir war dort niemand anzutreffen. Gut für mich, so musste ich für die Nacht wenigstens nichts bezahlen.
Am nächsten Tag wurde ich vom Geräusch der auf mein Zelt einprasselnden Hagelkörner geweckt. Der Hagel schien sich mit Regen abzuwechseln. Da ich aber von der Nacht noch durchgefroren war und meine nächste Etappe nicht sonderlich lang war, hielt sich meine Motivation aufzustehen in Grenzen. In der vergeblichen Hoffnung, es würde bald aufhören, blieb ich bis weit nach 12 Uhr im Zelt liegen, doch es half nichts. Erst als ich mich aufgerafft hatte und alles eingepackt war, wurde es schließlich besser. Ich lief los und nach nur zwei oder drei Kilometern kam ich an dem Aussichtspunkt der Kanadischen Rocky Mountains an. Der schneebedeckte Mount Assiniboine mit seinem am Fuße liegenden Lake Magog. Leute lassen sich für viel Geld mit Helikoptern dort rauf fliegen, um dieses Panorama zu genießen. Man kann sogar Lodges buchen, deren gesamte Verpflegung ebenfalls per Helikopter angeflogen wird. Von der Bank am Aussichtspunkt genoss ich das Panorama bis das Wetter wieder wechselte. Unten am Ufer waren Wanderer zu sehen. Ich konnte von weiter Ferne beobachten, wie sich die Regenwolken langsam über den Gipfel des Berges schoben und erst über dem See und dann auch über Wanderern abregneten. Erst als sie bei mir angekommen waren, zog ich schließlich weiter.
Mein nächster Campground war am Marvel Lake, in dessen näherer Umgebung dutzende anderer kleinerer Seen und Wasserfälle sind. Von dort aus kann man sehr gut kleinere Tageswanderungen unternehmen. Für mich ging es aber am nächsten Tag weiter zum Campground an den Big Springs – einem Gebirgsbach, der direkt aus dem Fels eines großen Berges entspringt. Das Wasser kommt wortwörtlich einfach aus dem Berg geflossen. Dort traf ich noch einen anderen etwas älteren Wanderer, der mir erzählte, dass er normalerweise nicht an solchen überfüllten Orten wandern geht. Da muss man sich als Mitteleuropäer schon wundern. In den 4 Tagen in denen ich unterwegs war, hatte ich vielleicht mit insgesamt zehn anderen Wanderern gesprochen und war die meiste Zeit allein. Doch in Kanada gibt es eben so viel Platz und so viele Naturparks, dass man locker zwei Wochen wandern gehen kann, ohne auch nur einen einzigen Menschen zu treffen. Normalerweise würde er nur Bären begegnen, meinte er noch, als wir uns verabschiedeten.
Am letzten Tag war das Wetter wieder prächtig und ich hatte nur um die 12 Kilometer zu gehen, weshalb ich an jeder schönen Stelle anhielt und eine ausgiebige Pause machte. Ich ging ein letztes Mal im Gebirgssee baden, um mich für Sophie, die mich abholen sollte, frisch zu machen. Nach fünf Tagen war ich auch sehr froh, als ich Elliott schon aus der Ferne sah und Sophie darin auf mich wartete. Wir blieben noch lange am Parkplatz und tauschten uns darüber aus, was wir die letzten Tage erlebt hatten.