Auf nach Manitoba!

Vom südlichen Saskatchewan geht es Ende August weiter Richtung Osten nach Manitoba. Der erste Halt ist der Riding Mountain Nationalpark. Da wir einen einjährigen Parkpass für alle Nationalparks haben, kostet uns der Spaß nichts und wir versuchen, so viele Nationalparks wie nur irgendwie möglich mitzunehmen. So waren wir bisher unter anderem in den Grasslands und natürlich in den Rocky Mountains. Der Riding Mountain ist zwar ein bisschen unspektakulärer als unsere letzten Nationalparkbesuche, aber das stört uns gar nicht. Es gibt nicht so viele Trails zum Wandern, dafür jedoch viele kleine Seen, Badeplätze und Feuerstellen. Da es Ende August sogar in Kanada richtig heiß ist, hält sich unsere Lust auf lange Wanderungen sowieso in Grenzen. Schön ist auch, dass sich zur Abwechslung mal niemand darum schert, wo wir stehen und so campen wir zwei Nächte – eigentlich illegal – direkt am See im Park. Mit Picknicktisch, Feuerstelle und sogar vorgeschnittenem Feuerholz (in allen Parks und Naturschutzgebieten ist es verboten, einfach Holz aus den Wäldern zu verfeuern) haben wir unseren privaten Campingplatz – und das auch noch ganz kostenlos. 

Nach ein paar Tagen im Riding Mountain beschließen wir ziemlich spontan, noch ein kleines Workaway zu machen. Ken hatte uns auf der Workaway-Plattform angeschrieben und gefragt, ob wir vorbeikommen möchten. Zufälligerweise sind wir genau zu diesem Zeitpunkt keine Stunde entfernt – und ein solcher Zufall ist in Kanada eher ungewöhnlich. Und so fühlt es sich auch ein bisschen nach Schicksal an, als wir zu Ken und Darleen nach Sandy Beach fahren. Wir haben nicht viel Zeit, nur 4 Tage, dann müssen wir weiter in Richtung Ontario. Chrissi hatte (bereits zum zweiten Mal) Ersatzteile für unseren kleinen Gasofen im Van bestellt, die zurück in die USA geschickt werden würden, wenn wir sie nicht rechtzeitig abholten. Aber auch 4 Tage sind besser als nichts, und nach den vier Wochen bei Jacky und ihrer Familie in Saskatchewan wollen wir ehrlich gesagt auch lieber unsere Ruhe. Von workaway zu workaway fahren, wie das unsere beiden slowenischen Freunde Sandra und Andrej machen, könnten wir wohl nicht – dafür lieben wir nicht nur das Leben im Bus viel zu sehr, sondern auch unsere Privatsphäre.

But anyway, wir sind für kanadische Verhältnisse so nah dran und irgendwie möchten wir auch etwas zurückgeben, an Kanada und die Menschen, die wir hier kennenlernen durften. Und da Ken und Darleen etwas Unterstützung brauchen, um ihr Haus zu verkaufen, scheint dies eine gute Gelegenheit. Warum es zum Verkauf kommt, erfahren wir jedoch erst später – und werden ziemlich traurig.

Doch zunächst biegen wir mit Elliott einmal wieder auf ein wunderschönes Grundstück ein. Der private Zufahrtsweg ist von Birken gesäumt und zieht sich sicherlich einige Kilometer. Er mündet an zwei großen Häusern, beide weiß mit grünen Dächern. Das schönste aber ist zum einen ein riesiger, in allen Farben blühender und von Früchten nur so überquellender Garten – und ein ebenfalls nicht gerade kleiner privater (!) See, auf dem ein großer Schwarm weißer Pelikane schippert. Oh man. Wie so oft haben wir schon gedacht: Das toppt nichts mehr – doch jetzt sind wir uns sicher, dass wir das höchste der Gefühle erreicht haben. Und eins freut uns noch mehr: Darleen und Ken sind seit 40 Jahren Vegetarier und leben seit 9 Jahren vegan. Ein Paradies für uns und als wir den Garten sehen, wissen wir bereits: die nächsten vier Tagen werden ein kulinarisches Fest. Da das Essen bei Jackie nicht so richtig pralle war und häufig nur aus Fertiggerichten bestand, freuen wir uns umso mehr.

Unsere Hosts sind noch nicht da, daher werden wir von einer Freundin willkommen geheißen. Wir machen uns gleich mal nützlich, und während wir allerlei Zutaten für Salat und Nudelpfanne schnippeln, erzählt uns Shirley, dass Ken und Darleen im Krankenhaus sind, aber bald kommen. Wir schlucken und als wir fragen, was passiert sei, sagt uns Shirley, dass die beiden uns das später selbst erzählen. 

Schließlich kommen die beiden. Ken, um die 60, mit einem grauhaarigen Vokuhila und einem verschmitzten Lächeln im Gesicht und Darleen, eine sehr leise und sanfte, mehr noch zarte und zerbrechliche Frau. Sie hat Krebs. Und mehr oder weniger genau aus diesem Grund sind wir hier. Denn das Haus muss verkauft werden, damit die beiden näher zur Stadt, zum Krankenhaus und der notwendigen medizinischen Versorgung ziehen können. Ken zeigt uns das Grundstück und erzählt uns alles. Es bricht uns das Herz. Gerade einmal vor drei Jahren sind die beiden mit dem Bau ihres Traumhauses fertig geworden. Früher arbeiteten die beiden als Versicherungsmaklerin und Immobilienmakler und haben mit dem Großprojekt Traumhaus erst begonnen, als sie in Rente gegangen sind. Das Haus ist wunderschön, ebenso wie das Grundstück. Es liegt komplett abgeschieden am bereits erwähnten See, zu dem nur sie Zugang haben. Angefangen haben sie vor 8 Jahren mit dem Bau einer kleinen Cabin aus Holz, um erst einmal irgendwo wohnen zu können. Später kam ein Duschhaus hinzu, mit einer kleinen Sauna. Geheizt wird mit einem Holzofen, das ist auch bei dem großen Wohnhaus die einzige Wärmequelle. Strom gibt es ausschließlich aus Solarenergie, weshalb man die elektrischen Geräte nur bis circa 17:30 abends unbegrenzt (im Sommer) benutzen kann. Danach werden die tagsüber geladenen Batterien angezapft, ähnlich wie in Elliot nur alles eine (oder eher zwei) Nummer(n) größer. Das Warmwasser wird ebenfalls mit erneuerbaren Energien erwärmt, über den Tag hinweg mit Sonnenenergie, abends mit dem Feuer des Holzofens. Ken zeigt uns das zweite große Haus direkt neben dem Wohnhaus. Es ist eine große Werkstatt, so groß, dass man ohne Probleme ein Bott drin bauen könnte. Über der Werkstatt hat er später noch ein zweites Geschoss mit einer Wohnung gebaut, in die die beiden gezogen sind, als es in der Cabin zu eng wurde. Die kleine Wohnung hat eine große offene Küche mit Livingroom inklusive Billardtisch und zwei Schlafzimmer. Wir gehen über das Grundstück, die Zufahrtswege sind von meterhohen Bäumen gesäumt, und auf der gegenüberliegenden Seite gibt es noch einen kleinen Naturteich. Die Grundstücke rund um Ken und Darleens Haus hat die kanadische Naturschutzorganisation „Ducks unlimited“ gekauft um den Lebensraum von Enten zu schützen. Daher leben die beiden nicht nur wunderschön abgelegen am See, sondern sind auch noch umgeben von einem Naturschutzgebiet. Keine Nachbarn, keine Straße, kein Lärm. Es ist ein Paradies. Das wohl schönste ist der riesige Garten, in dem die beiden – eigentlich bis vor ihrer Krankheit hauptsächlich Darleen – so viel Obst und Gemüse anbauen, dass sie den ganzen Sommer über autark leben können und nur im Winter frische Sachen, die nicht eingefroren werden können, zukaufen müssen. Es ist herrlich: auf den Beeten wachsen Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten, Kartoffeln, Spinat, Himbeeren, Goji-Beeren, Salate, Zucchini, Kürbisse, Erdbeeren, Kohlrabi und und und. Im angrenzenden Gewächshaus duftet der Basilikum und direkt an der Terrasse des großen Wohnhauses wachsen Kräuter in einem eigenen kleinen Kräutergarten. 

Das Essen ist dementsprechend saisonal und bio, denn chemische Pestizide werden nicht verwendet. Es schmeckt uns so so gut. Allein die Zucchiniernte, die wir an den ersten Tagen aus dem Garten holen, ist so groß, dass die Kücheninsel nicht breit genug ist, um alle darauf zu stapeln. Dann zeigt uns Ken nochmal in aller Ausführlichkeit und mit Stolz das eigentliche Wohnhaus: Auch hier wird alles energieneutral geheizt, der Boden besteht aus Kork und das wunderschöne Geländer zum oberen Stockwerk ist aus eigenhändig gebeizten Birkenstämmen gebaut, ein Unikat. Es steckt so viel Herzblut in diesem Haus. Neben der großen Küche und einem offenen Wohnbereich gibt es noch einen lichtdurchfluteten Saloon, indem auf einem großen Gitter Goji-Beeren in der Sonne trocknen. Es gibt mehrere Schlafzimmer und ein Büro, dessen Wand man zum Bett ausklappen kann und in dem wir schlafen. Während wir durch die 800qm schlappen, wird uns immer klarer, was wir hier eigentlich sehen: Den Lebenstraum zweier Menschen, die so viel gegeben haben, um ihrer Lebensphilosophie nach die restlichen Jahre ihres Lebens zu verbringen.

Während der vier Tage, an denen wir mit den dreien (Shirley ist vorübergehend eingezogen, um Darleen zu unterstützen) zusammenwohnen, haben wir wunderbare Gespräche, auch wenn wir Darleen nur selten sehen, viel zu erschöpft ist sie von der letzten Krebsbehandlung. Wir putzen das Haus und räumen das Grundstück auf für die potenziellen Käufer, die in einigen Tagen vorbeikommen. Wieder einmal bricht es uns das Herz, zu sehen, wie schwer es Ken fällt, ein Lächeln auf den Lippen zu behalten. Zu schwer ist die Last, dass der Lebenstraum, für den sie solange gekämpft haben, nun in andere Hände fällt. Daher ist es Ken auch sehr wichtig, dass die zukünftigen Käufer dieselbe Philosophie vertreten wie er und Darleen. Die Käufer, die schließlich am Sonntag kommen, scheinen genau das zu erfüllen – sie sind aber auch nicht die ersten, die sich das Haus anschauen. Während Ken den vieren eine mehrere stundenlange Haus- und Hofführung gibt, ziehen wir uns zurück. Am Abend, es ist zugleich der letzte für uns, bevor wir weitermüssen, sitzen wir nochmal alle zusammen am Esstisch und reden über die potenziellen Käufer. Ken hat ein gutes Gefühl, und vielleicht macht es die Traurigkeit, die alles andere überlagert, ein kleines bisschen weniger schwer. Zu wissen, dass man seinen Lebenstraum in die richtigen Hände gibt, an Leute, die ihn so weiterführen werden wie man selbst und in Ehren halten, weil sie die ganze Arbeit, die darin steckt, sehen und wertschätzen. Auch wenn die eigene Zukunft gleichzeitig so furchtbar ungewiss ist. 

Als wir uns am nächsten Tag verabschieden, haben wir beide einen dicken Kloß im Hals. Das hier ist nicht fair. Das hier sollte nicht passieren, niemanden und schon gar nicht Menschen, die versuchen, alles richtig zu machen: Ihren ökologischen Fußabdruck so unsichtbar wie möglich zu halten, vegan zu leben, für den eigenen Körper und Geist mit Meditation und Yoga zu sorgen, der Erde und den darauf lebenden Geschöpfen, egal ob Mensch oder Tier, mit Wärme, Gastfreundschaft und offenen Herzen zu begegnen. Als wir uns umarmen, kann ich mich gerade noch rechtzeitig umdrehen, damit keiner der beiden meine Tränen bemerkt. Es bricht uns beiden das Herz, diese beiden wundervollen Menschen zu verlassen. Wir sind traurig und zugleich dankbar, dass wir Ken und Darleen kennenlernen konnten und zumindest ein bisschen von all der Liebe, die uns geschenkt wurde, zurückgeben konnten. Auf dem Weg Richtung Süd-Osten hängen wir beide lange unseren Gedanken nach. 

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